Die „Zelluloidkarriere“ startete 1975 mit Episoden der siebenteiligen Fernsehserie „Das Mädchen Krümel“, die in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts spielt und in der sehr ursprünglichen Dorfkulisse von Wolkow ohne aufwändige und kostspielige Kulissenbauten angesiedelt werden konnte. Verfilmt wurde ein Roman von Martha Ludwig. Auch die zweite Stufe der Filmkarriere nützte – nunmehr im Dorf Wildberg – die Atmosphäre und die interessanten Bauwerke vergangener Zeiten als Schauplatz für die cinematographische Umsetzung einer berühmten Literaturvorlage: Der NDR und die DEFA drehten 1987 Szenen aus Fritz Reuters „Ut mine Stromtid“ auf dem früheren Biederstädt’schen Dreiseit-Hof und im Saal der Gaststätte Gentz. Nicht wenige Wildberger haben als Statisten mitgewirkt und ihre Berührung mit der Filmwelt auf privaten Fotos festgehalten.

Regie führte der renommierte Filmemacher Carlheinz Caspari, unter den Schauspielern sind Jürgen Reimer als Hawermann, Uwe Detlef Jessen als Unkel Brässig, Günter Kars als Pomuchel und Karin Gregorek als dessen herrlich kratzbürstige Angetraute die herausragenden Protagonisten. Die Wildberger Komparsen solidarisieren sich in der Eingangsszene mit Hawermann, der von Haus und Hof vertrieben wird und bilden ein emotional aufgeheiztes Versammlungs-Publikum beim Rededuell von Pumuchel und Bräsig.
Was deutschlandweite Aufmerksamkeit und Medienresonanz anbelangt, so stellt der im Herbst 2013 vorgestellte Film „Am Ende der Milchstraße“ seine Vorgänger klar in den Schatten. Diesmal ist es nicht die historische Kulisse, die die Filmemacher Leopold Grün und Dirk Uhlig anzieht, sondern es sind die Bewohner des Dorfes Wischershausen, die ganz im Mittelpunkt ihres Interesses stehen. Zahlreiche überregionale Tageszeitungen und Wochenmagazine wie Focus, Spiegel und Zeit widmeten dem Streifen ausführliche Besprechungen. Die Diskussion ist dabei durchaus kontrovers, in der Tendenz allerdings überwiegt doch klar die Anerkennung für die künstlerische Qualität und den ungeschönten Realismus, mit dem hier ein Landleben ohne Romantik und Idylle dargestellt wird. Stellvertretend für das vielstimmige Presse-Echo sei hier der Beitrag wiedergegeben, den Kirsten Kieninger in der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung vom 27. Februar 2014 veröffentlicht hat:
„Anfang des Jahres wurde ‚Am Ende der Milchstraße‘ mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet, am Dienstagabend hat Leopold Grün den Film im Heidelberger Gloria-Kino vorgestellt und sich viel Zeit genommen für ein Gespräch über den Film, der sich ebenfalls viel Zeit lässt. Wischershausen ist ein Ort mit 50 Einwohnern. Regisseur Leopold Grün nimmt in seinem Film das Leben dort unter die Lupe und diskutierte jetzt im Gloria-Kino mit dem Publikum.Die Reise ging bis ans Ende der Milchstraße. Mitten nach Mecklenburg, wo der Himmel weit, das Land flach und die Dörfer klein sind. Wo ein unspektakuläres Landleben jenseits der Hochglanz-Idylle von „Garden & Country“-Illustrierten das Leben bestimmt und die Romantik im Alltag abblättert. Wo eigentlich nichts passiert, wo man aber dennoch – oder deshalb – einen Dokumentarfilm drehen kann, der viel aussagt über Land und Leute: über Deutschland 25 Jahre nach dem Mauerfall und darüber, wie Menschen sich mit Gegebenheiten arrangieren und miteinander leben.
Leopold Grün und Dirk Uhlig haben diesen Film gemacht. Der sich in der Montage dem Lebensrhythmus auf dem Dorf anpasst, der die „Leute in Erscheinung treten lässt“, statt sie vorzuführen und ihr Leben auszustellen. Fünf Jahre lang haben die Filmemacher an dem Projekt gearbeitet, haben sich zunächst ohne Kamera in dem 50-Einwohner-Dorf Wischershausen umgesehen und die Leute kennengelernt.

Erster Anknüpfungspunkt war die wissenschaftliche Studie ‚Pragmatismus und Visionen – Eigenarbeit in der ostdeutschen ländlichen Gesellschaft‘, die eine befreundete Ethnologin in dem Dorf erarbeitet hat. Trotzdem ist „Am Ende der Milchstraße“ nach drei Drehetappen von 2009 bis 2011 und einem abschließenden Jahr Arbeit im Schneideraum kein filmisches Fakten-Kompendium geworden, sondern ein Film, der auf seine Bilder vertraut. Ein Film, der in aller Ruhe immer tiefer in das Universum einer Dorfgemeinschaft vordringt, in dem sich Individuen zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen haben, in der mit Nachbarschaftshilfe und Tauschhandel (aber auch mit viel Kirschlikör und Bier) dem Strukturwandel und der Arbeitslosigkeit begegnet wird.
Ein authentischer, rauer, in Momenten auch poetischer – aber niemals romantisierender – Einblick in ein Parallel-Universum, wie es durchaus auch in strukturschwachen Landstrichen in der Pfalz oder Niedersachsens existiert. Ein beobachtender Film, in dem biografische Informationen ganz reduziert nur dort vermittelt werden, wo sie ‚eine Repräsentanz dessen sind, was es heißt, dort zu leben‘. Die Filmemacher haben sich bewusst dafür entschieden, sich im Hintergrund zu halten, ‚denn es geht nicht um das Verhältnis von uns zu den Menschen, sondern wir wollten zeigen, dass die Leute eine eigene Sprache haben‘.
‚Am Ende der Milchstraße‘ zeigt: Die Menschen in Wischershausen haben nicht nur eine eigene Sprache. Ob frischverheirateter Melker, alleinerziehende Mutter von fünf Kindern oder arbeitsloser, angelnder Techniker: die Menschen vermitteln eine am Leben gewachsene Haltung und Selbstverständlichkeit, die bewundernswert ist. Gerne möchte man ihnen in fünf bis zehn Jahren wieder begegnen. Die Frage nach einer Fortsetzung wird immer wieder an Leopold Grün herangetragen, so auch aus dem vom Film und seinen Protagonisten beeindruckten und berührten Heidelberger Publikum. Der aus Dresden stammende Regisseur (‚Der rote Elvis‘, 2007), der auch ausgebildeter Medienpädagoge ist, hat zunächst andere Pläne, aber: wer weiß?
Nach dem Gewinn des Bayrischen Filmpreises und der Nominierung für den Deutschen Filmpreis, bleibt noch zu ergänzen, dass der Film 2014 mit dem Dokumentarfilm-Preis der Stiftung Kulturwerk der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst ausgezeichnet wurde, der in Köln vergeben wird.
© Gerhard Fink