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1850… Zeugnis großer Heimatverbundenheit und wertvolles Geschichtsdokument

Unverhofft kommt oft, so lautet ein geläufiges Sprichwort, das auch Chronisten in Gebrauch haben. Einen Glücksfall wie die im Dezember 2020 in der Schriftenreihe des Regionalmuseums Neubrandenburg veröffentlichte Wildberg-Verschronik von Wilhelm Himburg, den gibt es aber doch nicht alle Tage: Professor Dr. Dieter Dolgner, aufgewachsen in Reinberg und bis zum Übertritt in die Oberschule Stavenhagen in Wildberg zur Schule gegangen, stellte das Unikat zur Verfügung und gab es zur Veröffentlichung frei, Museumsleiter Dr. Rolf Voß besorgte die Übertragung des in Sütterlinschrift überlieferten Textes, editierte das Manuskript und veranlasste die Aufnahme in die Schriftenreihe des Museums. Autor der Chronik ist Wilhelm Ernst Carl Himburg, Sohn des Wildberger Küsters Carl Himburg und seiner Ehefrau Elisabeth geb. Strutz. Der Chronist, Jahrgang 1838, datierte sein Werk ins Jahr 1914. Er schreibt seine Verse also als pensionierter Reallehrer, sein Motiv legt er im Vorwort offen: „Mich trieb dazu die Heimatliebe, die mich auch in der Ferne beseelt, und so lasse ich, ehe mein Ende mich überrascht, das mir Überlieferte nach geschichtlicher Ordnung in die Welt hinausgehen, und zwar nicht nur auf Hoch-, sondern auch auf Plattdeutsch, unserm theuren Heimatsdialekt, den ich noch nicht gänzlich verlernt habe.“ Das Ergebnis ist eine wunderbare Mixtur aus Patriotismus, Historie, Dorfschnack, sagenhafter Überlieferung und wohl auch etwas dichterischer Freiheit, die Einblick erlaubt in die dörfliche Welt und den Zeitgeist des 19. Jahrhunderts.

„Groß Wildberg
ist als Dorf recht schön,
auch volkreich, denn da wohnen zehn,
elf Bauerngutsherrn wohl und dann
viel Büdner mit, meist ohn‘ Gespann.
Die Kirche ziert ein schlanker Thurm
aus Holz, drauf läutet es zum Sturm
und Fest. Ein Pastor ist allda.
Vernehmt, was früher dort geschah….“

Allen, die den plattdeutschen Dialekt beherrschen, dürfte die Lektüre des Buches ein doppeltes Vergnügen bereiten und wer sich im Entziffern der Sütterlinschrift üben will, kommt ebenfalls auf seine Kosten – sind doch die originalen Manuskriptseiten mit abgedruckt.

Den wichtigsten historisch interessanten Impulsen der Verschronik werden in der aktuellen Chronik eigene Zeitfenster eingeräumt (siehe Zeitfenster 1491, 1726), dem bereits vorhandenen Zeitfenster 1817 wird ein Nachtrag hinzugefügt. Ein wahres Prunkstück geschichtlich fundierter Überlieferung ist der sorgfältig gezeichnete kolorierte Dorfplan, der den Baubestand Wildbergs um das Jahr 1850 erfasst (siehe Zeitfenster 1850). Weitere besonders interessante Abschnitte sind nachfolgend zusammengefasst:

*  Die „im Dunkel liegende“ Vorzeit spart Wilhelm Himburg aus und auch von Monekehusen und der Gutsherrschaft des Klosters Reinfeld bis ins Jahr 1566 ist zu seiner Zeit offenbar keine Überlieferung vorhanden gewesen. Die Molchen-Legende (Zeitfenster 1491) ist das erste historische Ereignis, das Himburg schildert. Ausführlich wird das Dorfschicksal im Dreissigjährigen Krieg geschildert. Auch in dieser legendenhaften  Überlieferung wird das Dorf mehrfach heimgesucht und nahezu ausgelöscht: „Das Dorf stand öd und menschenleer“. Nur einem namentlich nicht genannten Wildberger gelang die Flucht durch Untertauchen im See. Anschließend war er sehr „fruchtbar“, stammt doch von ihm „halb Wildberg ab“ (S. 14 folgende)

*  Die Seidenraupenzucht, die der Alte Fritz anordnete, hatte im Ortsbild deutlich sichtbare Spuren hinterlassen. Es muss einen  beachtlichen Bestand an Maulbeerbäumen gegeben haben. Ein besonders schönes Exemplar zierte den Kirchhof, fiel dann aber einem Blitzschlag zum Opfer, der auch den Turm und den Westgiebel der Kirche stark beschädigte (Angabe ohne Jahreszahl, S. 118).

*  Der nördliche Bereich des Kirchhofes – also zur Seestraße hin – war den Verstorbenen aus Fouquettin vorbehalten ( S. 122).

*  Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war das Niederdeutsche Hallenhaus offenbar die vorherrschende Bauweise in Wildberg. Himburg nennt diese Fachwerk-Bauernhäuser „sächsisch“, macht sich in seinen Versen über das Miteinander von Wohnung, Stall und Scheune ein wenig lustig, erwähnt auch die große Brandgefahr und staunt über die komfortablen Nachfolgebauten mit separierten Wohngebäuden, die noch heute das Ortsbild prägen (S. 130 folgende).

*  Eine Typhus-Epidemie (die Krankheit bezeichnete man früher als „Nervenfieber“) forderte auch in Wildberg zahlreiche Opfer – unter anderem starben auch die Hofbauern in den Häusern Lubs und Müller. Leider erwähnt Himburg das Jahr nicht – es könnte aber das Typhusjahr 1831 gewesen sein. Die Witwe Müller heiratete einen ehemaligen Kürassier mit Namen Fink. Dieser übernahm für einige Jahre das Schulzenamt und stellte im Unruhe- und Revolutionsjahr 1848 eine Art berittene Bürgerwehr auf, die zwar keine „Feindberührung“ hatte, aber umso eifriger Manöver durchführte und eindrucksvoll paradierte. Aus nicht genannten Gründen legte er später das Schulzenamt nieder (S. 102 folgende)

*  Mit dem Verhältnis zwischen Dorf und Försterei war es insbesondere nach dem Verkauf des Vorwerks nicht immer zum besten gestellt. Das Recht, die Viehherden einfach in den Wald zu treiben, erzeugte wohl immer schon genügend Zündstoff zwischen Land- und Forstwirtschaft. Dem Waldheger kann der Verbiss an den Jungpflanzen nicht gleichgültig sein. Mit dem Förster Markwitz gab es Streit, weil der auch das Jagdrecht auf der von den Wildbergern gekauften Feldflur beanspruchte, Förster Rex ärgerte die Kleinbauern mit der Neupflanzung eines Eichenstreifens am östlichen Waldrand, der in manchen Abschnitten heute noch vorhanden ist. Seine Jungpflanzen schützte er sicher mit einem Zaun gegen den Verbiss und bremste damit das Weiderecht im Staatswald aus – der immer noch schöne Hochwald dankt es ihm bis heute!

*  Neuerungen in der Landwirtschaft dringen nach Wildberg vor: Der Schulze Dreyer stellt als erster bei den Rindern auf Stallhaltung um und düngte mit dem Mist seine Felder, ein Bauer Söhn baute als erster Raps und Wicken an und fand rasch Nachahmer (S. 102), die Technik hält Einzug in den bäuerlichen Alltag – „die Wirtschaft treibt Maschinenwerk, dass man’s kaum gläubt“ (S. 142).

„Die Kriege (des 18. und 19. Jahrunderts sind gemeint) rafften nicht so sehr viele Leute weg, als dann von hier verzogen nach Amerika, paar Dutzend kommt der Zahl kaum nah“ (S. 106) Demnach waren nicht alle in Wildberg mit dem vergleichsweise guten Leben zufrieden und die Hiesigen hatten ihren Anteil an der großen Auswanderungswelle, die Pommern ab 1839 erfasste. Es war nicht immer blanke Not, die diesen Schritt verursachte. Viele junge Männer entzogen sich auf diesem Wege dem Militärdienst und insgesamt wuchs die Bevölkerung trotzdem  in den Jahren1748 bis 1900 von 310 000 Einwohnern auf 1,6 Millionen an. In der Verschronik werden auch Namen von Auswanderern genannt: Vater und Sohn Hinzpeter, K. Rossow, Schröder (S. 155 folgende). 

Wildberg Chronik, Schriftenreihe des Regionalmuseums Neubrandenburg Nr. 54, Preis 10 €;
zu beziehen über Museum Neubrandenburg, Treptower Str. 38, 17033 Neubrandenburg,
www.museum-neubrandenburg.de/; Mail: museum@neubrandenburg.de

 

© Gerhard Fink

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