Der 1. Juli 1913 war in Wolkow,Wischershausen und Wildberg gewiss kein Tag wie jeder andere: Die Demminer Kleinbahn West wurde mit zwei festlich geschmückten Sonderzügen feierlich in Betrieb genommen – einer befuhr die Hauptstrecke Bredenfelde – Demmin, der andere die Abzweigstrecke Treptow – Metschow – Demmin. Das Demminer Tageblatt berichtet: „Die Lokomotive und die neuen geräumigen Aussichtswagen waren prächtig bekränzt und mit Fähnchen herausgeputzt…Der Festzug aus Treptow a. d. Tollense fuhr um 10.04 Uhr ab, beide Züge erreichten den Bahnhof Demmin um 13.30 Uhr.“ Sicher hat es auch an den Haltepunkten in unserem Gemeindegebiet zu einem kurzen Stop gereicht und die Wolkower, Wischershausener und Wildberger konnten ihrer Begeisterung für die Anbindung an den Fernverkehr Ausdruck verleihen. Die lange Fahrzeit zwischen den beiden Endstationen ist aber nicht nur die Folge der 24 Haltepunkte, sondern auch dem „atemberaubenden“ Tempo der Züge geschuldet: Zulässige Höchstgeschwindigkeit 25 Kilometer pro Stunde! Gebaut hat die 750 mm- Schmalspur-Trasse die in Stettin (später in Berlin) ansässige Firma Lenz & Co., die als eine Art Generalunternehmer im Auftrag des preußischen Staates, der jeweiligen Provinzen und der Kreise zahlreiche Kleinbahnen errichtete. Diese monopolartige Stellung von Lenz & Co. hatte einen durchaus rationalen Hintergrund – galt das Unternehmen doch als preiswert, qualitätsbewußt und zuverlässig, was die Termine anbetraf. Vom Streckenaufbau einschließlich der Haltestationen bis zur Beschaffung der Waggons und Lokomotiven ersteckte sich das Auftragsvolumen. Zudem musste Lenz & Co. ein Drittel des veranschlagten Kapitals einbringen, den Rest teilten sich die oben genannte Auftraggeber. In Erwartung einer ordentlichen Rendite wollte sich das Stettiner Unternehmen mit seinem Kapitalanteil ursprünglich auch an den Betriebsgesellschaften der Kleinbahnstrecken beteiligen. Es zeigte sich aber schnell, dass die hohen Renditeerwartungen nicht einlösbar waren.
Eisenbahn-Milliardäre wie Vanderbildt oder Jay Gould hat es im Deutschen Reich nie gegeben – erst recht nicht im dünn besiedelten Pommern. Lenz verkaufte seine Anteile an die Miteigner und beschränkte sich ab 1910 auf das Aufbaugeschäft. Zu tun gab es genug – bis 1914 verfügten 23 der 28 pommerschen Landkreise über Kleinbahnen. Die Preiswürdigkeit bei Lenz & Co. hatte aber auch eine Kehrseite: Einerseits solides und keineswegs billiges Material, dafür aber nur ein Minimum an Lokomotiven- und Waggonausstattung, und alles, was als Luxus angesehen wurde, reduzierte man auf ein Minimum.
Für die Haltepunkte – natürlich auch für die drei im Gemeindegebiet – wurden mehr als schlichte Wellblechhütten errichtet, feste Bahnhofsbauten gab es nur an den Endstationen der jeweiligen Strecken. Um die Ausstattung des Altentreptower Bahnhofs mit einer Toilette gab es jahrelange Diskussionen. Selbst bei der Schienenstrecke wurde gespart: Das für die örtliche Landwirtschaft gedachte Verlade-Nebengleis für die Landwirtschaft ca. 2 km nördlich von Wildberg war gerade einmal 34 Meter lang, reichte nur für wenige Waggons und musste schon bald erweitert werden. Pro Tag gab es bis zu drei Zugpaare (Gleichzeitige Abfahrt an den beiden Endstationen, Zugkreuzung meist in Altenhagen) und die Züge waren jeweils zusammengestellt aus mehreren Güterwagen, einem Gepäck- und zwei Personenwagen. Dass der Personenverkehr eine vergleichsweise geringe Rolle spielte, ist am Wagenbestand der Demminer Kleinbahn abzulesen: 10 Personenwagen, aber bis zu 215 Güterwagen standen zur Verfügung. Während der Erntezeit waren zusätzliche reine Güterzüge unterwegs und an Markttagen wurde bei den regulären Zügen ein zusätzlicher Personenwagen eingesetzt. Besonders reger Zugverkehr herrschte natürlich während der Zuckerrüben-Kampagne, wobei der Zielort die damalige Zuckerfabrik in Stavenhagen war. Das geringe Fahgast-Aufkommen ist durchaus erklärbar: Berufspendler, die auf dem Dorf lebten und in der Stadt arbeiteten, gab es noch wenige und die geringe Zugfrequenz in Verbindung mit den langen Fahrzeiten minderte die Attraktivität des Bahnfahrens. In den Dreissiger Jahren stieg der Demminer Kleinbahnbetrieb schließlich in das Busgeschäft ein, um dem Mangel an Flexibilität beizukommen. Das Ende der Kleinbahn kam mit dem Demontagebefehl des sowjetischen Kreiskommandanten im Juni 1945. Das abgebaute Schienenmaterial, die Lokomotiven und Wagons wurden als Reparationsleistung nach Russland verbracht. Die ehemalige Bahntrasse ist über weite Strecken noch als Rad- oder Spazierweg nachvollziehbar.
Verwendete Quellen: Bauchspieß/Berg: Die Demminer Kleinbahnen, 2004 sowie demminarchiv.de
© Gerhard Fink