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1817
Quelle: seelze.de

Auf Trinitatis 1817 datiert ist der erste Vertragsentwurf für den Verkauf des königlichen Vorwerks Wildberg an die Mitgliedern der Dorfschaft Wildberg. Das seinerzeit zum Amt Verchen gehörende Anwesen Wildberg mit 1237 Morgen soll mit den jetzt dazugehörenden Wirtschafts- und Wohngebäuden, mit Gärten und Hütungen und samt dem Fuhrwerk vom Schulzen Christoph Dreyer, dem Gerichtsmann Michael Lubs, dem Gerichtsmann Christoph Becker, den Bauern Johann Lubs, Christoph Lubs, Carl Lubs, Carl Biederstaedt, Franz Carl Kruse und dem Erbpächter des Kirchackers und Schmied Christian Strutz erworben werden. Nicht Gegenstand des Verkaufs waren das (Kirchen-)Patronat, die Gerichtsbarkeit, das Jagdrecht und die Schankrechte in Wildberg, Fouquettin, Wolkow, Reinberg und Japzow. Hier blieb weiterhin das königliche Amt zuständig. Auch wenn bisher nicht zweifelsfrei zu ermitteln war, von welcher Seite die Initiative zu dieser strukturellen Umwälzung im Dorf ausging – einiges spricht dafür, dass die Dominalverwaltung den hiesigen Bauern einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete. Die Bauernbefreiung von 1807, die sich langsam aber sicher auch in Pommern durchsetzte, schuf die äußeren Voraussetzungen. In dem von Werner Buchholz herausgegebenen Band „Pommern“ aus der Reihe „Deutsche Geschichte im Osten Europas“ berichtet der Historiker Martin Schöbel, dass auf den königlichen Domänen bereits zu Beginn der 18. Jahrhunderts „die preußischen Könige eine aktive Bauernschutzpolitik durchsetzten, während sie hiermit auf den ritterschaftlichen Gütern scheiterten… So war auch Friedrich II. zu einer Reihe von Schutzedikten gezwungen. 1749 erging ein königliches Verbot der Einziehung von Bauernhöfen auf den Domänen, bereits ein Jahr davor hatte das Generaldirektorium die Verwandlung der ungemessenen Frondienste in gemessene gefordert und die Anzahl der Dienste auf höchstens vier Tage beschränkt.“ „Bauernschutz bedeutete für den preußischen Staat stets auch Soldatenschutz“. Man brauchte nicht nur Offiziere aus der Adelsschicht, sondern auch „Mannschaft“, die sich nur aus einer ökonomisch stabilen Landbevölkerung rekrutieren ließ.

Die Preußen waren im übrigen schon seit dem Ende des 17. Jahrhunderts mit der Ertragslage ihrer staatlichen Domänen unzufrieden. Außerdem war der preußische Staat nach den napoleonischen Kriegen schwer verschuldet und brauchte dringend Geld. Die königlichen Ämter sollten mit ihren Einkünften aus der landwirtschaftlichen Produktion, aus Wirtschaftsbetrieben wie Ziegeleien, aus Steuer- und Pachteinnahmen auch für Mühlen oder Krüge sowie aus Wald- und Gewässernutzung einen wesentlichen Teil des Staatseinkommens erwirtschaften. Wegen zu geringer Rentabilität der Vorwerke war dieses ökonomische Ziel gefährdet und so wurden die Domänen durch Aufsiedlung, Verpachtung oder, wie in Wildberg, durch Verkauf an die Dorfschaft vielerorts aufgelöst – „zerschlagen“, wie Berghaus das nennt.

In einer Aufstellung, die um das Jahr 1835 erstellt wurde (Original im Landesarchiv Greifswald) wird die Größe des königlichen Vorwerks Wildberg mit 1325 Morgen (ca. 340 Hektar) angegeben. Die Abweichung von knapp 100 Morgen gegenüber dem Kaufvertrags-Entwurf ergibt sich aus dem Umstand, dass diese Fläche als Weideland den „kleinen Leuten“ im Dorf zur Nutzung überlassen blieb und daher in der Endfassung des Kaufvertrags ausgespart wurde. Es gab also auch weiterhin eine kleine Almende.

Die von den zehn Käufern bewirtschaftete Fläche hatte vor dem Kauf ca. 2300 Morgen (ca. 600 Hektar) betragen. Die Höfe der Käufer vergrößern sich also um ein Drittel. Aus auskömmlichen Anwesen werden nun große Bauernhöfe, die von den Eignerfamilien und ihrem zahlenmäßig eher kleinen Gesinde nicht mehr alleine bewirtschaftet werden konnten. Die Bauern traten also auch als Arbeitgeber für Büdner und Tagelöhner an die Stelle des aufgelösten Vorwerks. Thomas Stamm-Kuhlmann hebt in seinem Beitrag zu dem schon erwähnten Pommernband von Buchholz die Bedeutung der Steinschen und Hardenbergischen Reformen hervor: Aufhebung der Leibeigenschaft und die Möglichkeit für die Bauern, sich von den Lasten gegenüber den Gutsherren zu befreien bzw. freizukaufen. „Vor der Reform unterschied sich der Inhaber einer Vollbauernstelle von einem Häusler oder Büdner im Lebensstandard nur unwesentlich. Nach der Reform dagegen war eine Schicht wirtschaftlich robuster Groß- und Mittelbauern entstanden, die in der Lage war, etwas auf die hohe Kante zu legen.“

Zu den unmittelbaren Folgen der Domänenaufteilung gehörte die Separation der bäuerlichen Flächen, die nun nicht mehr dem Flurzwang unterlagen. Vorher gab es strikte Vorschriften für die Fruchtfolge und die gemeinsame Bearbeitung der Teilflächen im Rahmen der Dreifelderwirtschaft, überwacht durch den Dorfschultzen. Was im frühen Mittelalter einen erheblichen Fortschritt in der Landwirtschaft bedeutete, war im Laufe der Jahrhunderte zu einem Hemmschuh geworden. England war nicht nur das Vorbild für die Entwicklung der Industrie, sondern auch Vorreiter in der Landwirtschaft. Dort hatte man die Dreifelderwirtschaft (Anbaufolge von Winterfrucht – Sommerfrucht – Brache im 3-Jahresrhythmus) zugunsten einer sogenannten Schlagwirtschaft mit bis zu 6 verschienenen Schlägen aufgegeben. Jeder Bauer konnte auf seinen separierten Flächen selber über die Fruchtfolge entscheiden. Die Bodenverbesserung durch das Brachejahr wurde durch Düngung ersetzt.

Die „Aufhebung der Gemeinheit“ bedeutete die Separation der Grundstücke, eine Vorform der Flurbereinigung. Es kam in Wildberg zu einer Neuverteilung der Ackerflächen und dies bewirkte eine Nutzungsänderung im großen Stil und vor allem eine Intensivierung der Bewirtschaftung. Auch die Allmende – gemeinsam vom Vorwerk und von den Bauern, Halbbauern, Kossäthen und Büdnern genutzte Weideflächen für das Vieh – wurde nunmehr aufgeteilt. Nur zur Hütung oder zum Holzsammeln genutztes Land wurde jetzt auch aufgeforstet, entwässert, planiert, in Wiesen verwandelt oder unter den Pflug genommen. In der Viehhaltung ging man mehr und mehr zur Sommerstallfütterung über, um Dung für die Felder zu erzeugen. Die Zahl der gehaltenen Rinder wurde deutlich gesteigert. Der Freiherr von Reden berichtetet 1842: Da wo Separationen stattgefunden haben, waren sie von segensreichsten Folgen. Man findet dann eine verbesserte Fruchtfolge eingeführt, den Futterkräuterbau ausgedehnt, überhaupt ist eine rege Betriebsamkeit sichtbar….Es ist bemerkenswert, dass der Bedarf an Scheunenraum sich vermehrt. In Folge dessen ist der Preis auch der kleinen separierten Grundbesitzungen in neuerer Zeit um 50 Prozent gestiegen. Bis zum Ende des Jahrhunderts stieg der Preis für separiertes Ackerland sogar auf das Dreifache. Und nicht nur neue Scheunen wurden gebaut, auch die Ansprüche an die Wohnverhältnisse wurde deutlich gesteigert. Davon zeugen in Wildberg die großen Bauernwohnhäuser, die wohl alle im Laufe des 19. Jahrhunderts errichtet wurden.

Offenbar ist die Motivation der in die Selbständigkeit entlassenen Bauern sprunghaft angestiegen. Ökonomierat Krüger schreibt: Ihre Lust, Tätigkeit und Eifer übertreffen allen Glauben. Sie fahren tausende von Steinfuhren vom Acker, um ein Viertel Morgen Land zu gewinnen, sie roden Stechpfriemen (Ginster), Heidekraut und Stubben auf Revieren, die Jahrhunderte (unkultiviert) standen.

Der Kauf des Gutsbetriebs durch die vormals dienstverpflichteten Bauern und die anschließende Separation waren juristisch komplizierte Vorgänge und es hat dementsprechend lange gedauert, bis der Kauf – letzendlich wohl für 25 000 Thaler – wirklich über die Bühne ging. Man merkt den überlieferten Entwürfen für den Vertrag an, dass nicht allzuviel Erfahrung im Umgang mit dieser Materie vorhanden war.

Die zu treffenden Vereinbarungen wurden in sogenannten Rezessen dokumentiert. Man könnte diese Form als Schiedsverfahren unter Mitwirkung staatlich Behörden bezeichnen. Durch diese neues Recht setzenden Vereinbarungen wurde das meist ungeschriebene Gewohnheitsrecht im Dorf ersetzt. Es gab eine Menge zu regeln: Japzower Bauern, die auf dem Vorwerk Wildberg Dienst geleistet hatten, besaßen eine Hüterecht auf Wildberger Markung. Wie werden sie entschädigt? Wie werden die Flächen nach Bodenqualität und -quantität gerecht verteilt? Wie werden die „kleinen Leute“, z. B. die Büdner entschädigt, die seither für eine genau festgelegte Zahl von Tieren das Weiderecht hatten? Bisher konnte noch nicht ermittelt werden, nach welchem Schlüssel die Vorwerksäcker unter den Käufern aufgeteilt wurden. Haben alle den gleichen Anteil erhalten oder richtete sich der Anteil nach den finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Bauern? Es gibt also noch einigen historischen Klärungsbedarf für diesen historischen Einschnitt.


Nachtrag Januar 2021:

Die Wildberg-Verschronik von Wilhelm Himburg liefert zusätzliche Details zur komplizierten Abwicklung des Verkaufs (S. 70 folgende). Zunächst schildert er den Zustand der bäuerlichen Wirtschaft in der letzten Zeit des Vorwerks und führt die Hemmnisse an, die einer ertragreichen Landwirtschaft entgegenstanden: So schreibt er „Hier ein Stück Acker, dort ein Fleck, kraus durcheinander, lang war der Weg…“ und „Die Ackerei war nichts als Rackerei“. Das Angebot für den Vorwerkskauf kam von Seiten des preußischen Staates und war keineswegs nur den Bauern des Dorfes unterbreitet worden. Man musste damit rechnen, das ein vermögender „Investor“ von außen die Liegenschaft erwirbt. Die Risiken für die Bauern, die natürlich nicht annähernd so viele Eigenmittel besaßen, waren groß. Für den Kauf setzte sich vor allem der Hofschmid Strutz ein und als die Bauernschaft insgesamt zu keinem gemeinsamen Entschluss kam, hat er zusammen mit dem Bauern Kruse wohl einen „Alleingang“ versucht. Mit einer so einseitigen Verteilung des Vorwerksackers aber wäre das dörfliche Gleichgewicht völlig verloren gegangen und so rückte dann die Bauernschaft doch noch zusammen:


„Doch ließ man sinken nicht den Muth,
nein, kaufte gleich das ganze Gut,
ein Leichtsinn fast; doch leichter trug
sich’s schon, betheiligten sich g’nug.“

In der ersten Begeisterung hatte man aber die Rechte der kleinen Bauernwirtschaften, der Büdner, vergessen, die darauf angewiesen waren, dass für ihr Vieh genug gemeinsam genutztes Weideland zur Verfügung stand. An ihrem Protest scheiterte der erste Vertragsentwurf und man musste die Verteilung ohne den verbleibenden Rest an Gemeindeweide neu verhandeln. Das Ergebnis ließ alle Sorgen und Konflikte schnell vergessen:


„An Land erhielt nun’s doppelte
jedweder Bauer als wie eh….
Wie’s nun aus anderen Augen sah!
Erst lag’s wie Kraut und Rüben da
krum durcheinander, ’ne Landplag fast,
doch nicht ein Landgut, eher ’ne Last.
Nun war’s doch hübsch in eins gelegt,
dass jeder’s Seine hegt und pflegt,
und nah bei Hofe, für’s Gesicht
die wahre Wonne, Glanz und Licht.“

Der ökonomische Erfolg setzt dem Unternehmen Vorwerkskauf dann vollends die Krone auf und die Prophezeiung des Schmids Strutz „man führe noch in Kutschen schön, ließ man sich’s Gut nur nicht entgehen..“ bewahrheitete sich:


„Denn von den Schulden, die erst sehr
hart drückten, blieb die Spur nicht mehr;
man leiht selbst Geld aus, wie noch nie,
man musst wohl sparen spät bis früh.
Belohnte sich die edle That
nicht reichlich, daß man so dem Staat
wie sich aufhalf?“

 

© Gerhard Fink

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