
Der zweite Glücksfall für alle, die an der pommerschen Geschichte interessiert sind, ist die Veröffentlichung der „Ausführlichen Beschreibung des Preußischen Vor- und Hinterpommern“ von Ludwig Wilhelm Brüggemann, deren erster Band 1779 herauskam. Es gibt wohl nur wenige Gebiete in Deutschland, die zu dieser Zeit so genau und vielschichtig beschrieben worden sind. Deutlich mehr als zwei Jahrzehnte hat Brüggemann auf dieses Werk verwendet, dessen letzter Ergänzungsband 1806 erschienen ist. Ein paar Bemerkungen zur Person des 1743 in Jakobshagen (ehemaliger Kreis Saatzig in Hinterpommern) geborenen Autors, die ein Stück weit erklären, weshalb diesem ein so außergewöhnlicher Wurf gelang. Ab 1765 war Brüggemann Garnisonsprediger in Berlin und zugleich Seelsorger und Berater von Prinzessin Amalie von Preußen, der jüngsten Schwester Friedrichs II. In dieser Funktion erwarb sich der Pastor hohes Ansehen bei den Hohenzollern. Der „direkte Draht“ zum Königshaus und sein Ruf als Gelehrter wirkten als Türöffner bei seiner Erforschung Pommerns. Landräte, Beamte bei den königlichen Domänen und die Pastoren lieferten aktuelle Beiträge. Und damit nicht genug: Brüggemann versandte sein Manuskript in Ausschnitten an die betreffenden Orte zur Gegenkontrolle, damit bei der Veröffentlichung wirklich alles stimmte. So wurde aus seiner Beschreibung das Standardwerk über Pommern, sowohl für den privaten Gebrauch als auch für die Amtsstuben. Hier nun die für unsere Orte wichtigen Passagen mit einigen Erläuterungen:
Fouquettin eine Meile von Treptow gegen Westen, und nur 200 Schritte von der Mecklenburg-Schwerinschen Grenze entfernt, hat 8 Kossäthen, ein Hirtenhaus und ist zu Wildberg in der Treptowschen Synode eingepfarret. Dieses Dorf ist an der Grenze des Dorfes Wildberg auf königliche Kosten erbauet, und 1749 dazu der Anfang gemacht worden.
Die Kolonie und ihre Gründung ist im Zeitfenster 1749 ausführlicher dargestellt. Hier bestätigt Brüggemann 30 Jahre später, dass die Zahl der Anwesen gleich geblieben ist. Er bezeichnet sie allerdings als Kossäthen-Höfe, während sie in den 1754 verfassten Berichten der Kriegs- und Domänenkammer in Stettin als Halbbauern bezeichnet werden. Wurden die Begriffe nur im Sprachgebrauch nicht ganz sauber getrennt, oder verbirgt sich mehr dahinter? Zwischen Halbbauern und Kossäthen bestand ein nicht unerheblicher sozialer Unterschied: Ersterer bewirtschaftet mindestens 10 Hektar Feldmark, während der Kossäth deutlich weniger – oft nur 3 oder 4 Hektar – zur Verfügung hatte. Im Fall Fouquettin spielt vielleicht auch die Qualität des Bodens eine Rolle, die Heinrich Berghaus in seinem Landbuch noch 1865 als „kaum mittelmäßig“ bezeichnete. So wäre erklärbar, weshalb die Siedlerhöfe trotz einer Hoffläche von ca. 12 Hektar durch die schlechte Ertragslage auf den Kossäthenstatus zurückgesunken sind.
Wildberg Eine Meile von Treptow gegen Westen, hat außer einem Vorwerk einen Prediger, 9 Bauern, 8 Büdner mit dem Krüger und dem Müller, einige königliche Einliegerhäuser, ein Predigerwitwenhaus, ein Küsterhaus, ein Kirchencolonenhaus, einen Schäfer und eine zu der Treptowschen Synode gehörige Mutterkirche, deren Filiale die Dörfer Wolkow und Reinberg sind, und zu welcher die Kolonie Fouquettin eingepfarret ist. Das Dorf, welches auf der westlichen Seite von einem bei dem Mecklenburg-Schwerinschen adeligen Gute Kastorf gelegenen See begrenzet wird, und längst dieses Sees von Süden gegen Norden eine kleine Büchenheide hat, grenzet mit den königlichen Dörfern Wolkow, Reinberg, Japzow und Wolde; und den mecklenburgschen Dörfern Kasdorf, Gädebehn, Pinnow und Breesen.
Büdner würde man heute wohl als Kleinlandwirte im Nebenerwerb bezeichnen. In Pommern wohnten sie oft in Gehöften, die vom Grundherrn – in Wildberg also von der königlichen Domänenkammer – gestellt wurden. Sie hatten häufig einen Nebenberuf oder verdingten sich auf dem Gut. Es war auch möglich, dass die Büdner Land dazu pachteten und so versuchten, allein vom Ertrag ihrer Hofstelle zu leben. Einer der Wildberger Büdner war der Schankwirt, der „Krüger“. Das Schankrecht stand dem Grundherren zu – der „Krüger“ musste dafür Pacht bezahlen. Unter Einliegerhäuser verstand man einfache Unterkünfte für die „kleinen Leute“, für die Tagelöhner und die nicht mehr arbeitsfähigen Personen, die vom Grundherren gestellt und unterhalten wurden. Das Küsterhaus diente zugleich auch als Schulstube. Das Kirchencolonenhaus war das Gehöft des Kirchacker-Pächters, der, obwohl er nicht der Eigner von Hof und Feldflur war, wohl mindestens den Status eines Halbbauern oder Kossäthen besaß. 1865 berichtet Berghaus, dass der Kirchacker, aus dessen Ertrag auch der Schulbetrieb finanziert wurde, umgerechnet ca. 70 ha umfasste. Wenn man die sehr genaue Karte der schwedischen Landesaufnahme von 1697 zum Ausgangspunkt nimmt, dann ist die in der Beschreibung erwähnte „kleine Büchenheide“ ein recht großes Gebiet in der Talsenke hin zum Kastorfer See, weit ausgedehnter als das heute noch vorhandene Waldstück. Unter Büchenheide verstand man eine besondere Landschaftsform, die sich als Folge intensiver Beweidung durch Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine herausgebildet hat. Große Buchen zeugen vom ursprünglich vorhandenen Hochwald und liefern Bucheckern für die Schweine, das nachwachsende Jungholz wird durch Viehverbiss kurz gehalten. Die Büchenheide ist das Kerngebiet der Allmende – dem Anteil an der Gemarkung, der von allen zur Viehhaltung berechtigten Dorfbewohnern und vom Vorwerk gemeinsam genutzt wurde. Nachdem Japzower Bauern für das Wildberger Vorwerk ihre Dienste leisteten, hatten diese auch ein Weiderecht auf der Wildberger Allmende.
Wolkow Eine halbe Meile von Treptow gegen Westen, hat eine kleine Büchenheide, mit welcher es auf der westlichen und nördlichen Seite umgeben ist, und bestehet aus 9 Bauern, 2 Halbbauern, 3 Kossäthen, 2 Büdnern, 1 Unterförster, ein Schulhaus, eine Schmiede, ein Kirchenbauer, eine Kirche, welche ein Filial von Wildberg in der Treptowschen Synode ist, und grenzet mit Wildberg, Reinberg, Teetzleben, der Stadt Treptow und gegen Süden mit dem Mecklenburg-Schwerinschen Dorfe Breesen.
In Wolkow – ebenfalls ein königliches Dorf – sind zur Zeit der Beschreibung alle Hierarchiestufen der dörflichen Sozialordnung vertreten. Die Bauern leisten ihre Hand- und Spanndienste zusammen mit den Kollegen aus Reinberg und Loickenzin für das königliche Vorwerk in Treptow, das ebenfalls um die 1200 Morgen bewirtschaftete. Die Gebäude des Vorwerks lagen unmittelbar an der Stadtmauer auf dem Areal des noch nach dem Krieg vorhandenen Amtshofes, die Schäferei befand sich in einer der Vorstädte.
Unter dem königlichen Amt Treptow sind weiter aufgeführt fünf Vorwerke und neun Mühlen, darunter auch das hiesige Vorwerk und die Wildberger Mühle: Über sie erfahren wir:
Das Vorwerk Wildberg hat 1250 Morgen und ist so wohl in Absicht des Ackerbaues als auch der Heuwerbung von ziemlich gutem Ertrage. Die hiesigen neun Bauern verrichten den vollen Dienst nach dem Dienstreglement und sieben Bauern aus Japzow einige Hilfsdienste.
Die bewirtschaftete Fläche des Vorwerks betrug 1250 Magdeburger Morgen, was
ca. 320 Hektar entspricht. Nach 1720 und mit der Machtübernahme durch die Preußen wurden aus den Vorwerken Staatsgüter, die von königlichen Dominalkammern verwaltet wurden. Die für Wildberg zuständige Behörde saß zu Brüggemanns Zeiten in Treptow, später in Verchen. Vorwerke waren nicht selbstständige Gutsbetriebe, die von Verwaltern geleitet wurden. Die Feldarbeit erledigten hauptsächlich die dienstverpflichteten Bauern von Wildberg und sieben der Japzower Bauern. Eine besondere Last trugen die sogenannten Vollbauern, deren Feldflur mehr als eine Hufe umfasste. wobei eine pommersche Hufe knapp 20 Hektar umfasste. Sie hatten neben den Abgaben sogenannte Hand- und Spanndienste zu leisten, die im Dienstreglement festgelegt waren. Oft war diese Fronarbeit an fünf oder sechs Tagen in der Woche zu leisten, die königlichen Domänen, sicher auch das Wildberger Vorwerk, begnügten sich mit 4 Tagen. Nachdem die Bauern auch ihre eigenen Höfe bewirtschaften mussten, waren sie in der Regel gezwungen, einen Knecht einzustellen und ein zusätzliches Pferdegespann vorzuhalten. Diese „Zweitbesetzung“ erledigte dann die Dienstpflicht für das Vorwerk.
Die Wildbergsche Windmühle, deren Zwangsmahlgäste die Einwohner der Dörfer Wildberg, Japzow, Fouquettin und Reinberg sind, jedoch die 8 Vollbauern und der neu angesetzte Halbbauer in dem letzten Dorfe nur zur Hälfte, weil solche wechselweise auf dieser und der Treptowschen Wassermühle mahlen. Die Wildbergsche Mühle wird zuweilen auch aus einem Missbrauche die Reinbergsche genennet, weil sie dem Dorfe Reinberg näher lieget als dem Dorfe Wildberg; Sie lieget aber mit dem Müllerhause auf dem Grunde und Boden des letztern Dorfes. Außer dieser Mühle hat der Besitzer derselben 1777 noch eine neue Windmühle erbauet, welche dem Dorfe Wildberg südwärts, so wie jene demselben nordostwärts lieget.
Auch das Privileg, eine Mühle zu unterhalten, lag beim Grundherrn. In der Regel wurden die Mühlen verpachtet. Die Bauern, Büdner und Kossäthen waren in der Wahl ihrer Mühle nicht frei, sondern mussten als „Zwangsmahlgäste“ dort anliefern, wo der Grundherr es wollte. Die Reinberger – ebenfalls ein königliches Dorf – hatten ihr Mahlgut im Wechsel zur Wildberger und zur Treptower Mühle zu bringen, damit die Kapazität jeweils ausgelastet war. Auch die dortige Mühle war im königlichen Besitz. Im Bereich der Sagen und Märchen ist ja häufig der Müller eine zwielichtige Figur. Die Kontrollmöglichkeit der Kunden war zwangsläufig begrenzt und das führte natürlich zu vielen Konflikten und Vertrauenskrisen. Zur „Konkurrenz“ zu wechseln war nicht möglich.
© Gerhard Fink