
Wahrhaftig ein Haus mit viel Leben drin wurde in diesem Jahr in Wildberg geplant und gebaut! Das alte Küsterhaus war wohl baufällig geworden und ein Neubau „mit allen Schikanen“ sollte an seine Stelle treten. Was da auf knapp 100 Quadratmetern untergebracht wurde, macht staunen und gibt auch Anlass zum Schmunzeln. Im Zentrum natürlich die Schulstube und die Küche. Dann zwei Kammern, die der Küsterfamilie zur Verfügung standen. Platz musste aber auch sein für die Kuh, die Gänse und die Schweine, für die jeweils ein eigener Stall vorgesehen war. Auch eine Dreschdiele durfte nicht fehlen. Der erstaunlichste Teil des Hauses aber waren „eine Stube und eine Camer zum Seiden Bau“! Seide aus Wildberg?! Für den 1774 immer noch regierenden alten Fritz war das nicht abwegig und den Grundgedanken, in Europa Seidenraupen zu züchten, teilte er mit vielen gekrönten Häuptern. Die vorherrschenden Ideen der damaligen Wirtschaftspolitik fasst man heute unter dem Begriff Merkantilismus zusammen. Mehr exportieren, weniger importieren lautete einer der wesentlichen Grundsätze – der durchaus auch heute noch Gültigkeit hat. Besondere Aufmerksamkeit widmete man den kostbaren Luxusgütern wie Porzellan, Glasspiegeln, gläsernen Kronleuchtern und eben auch Seidenstoffen. Dafür floss viel Geld ins Ausland ab und dieser Umstand nährte den Wunsch, solche Dinge im eigenen Land zu erzeugen. Beim Porzellan und bei den Spiegeln ist dies auch erstaunlich gut gelungen, aber mit den Seidenraupen war das so eine Sache. Die Haltung der gefräßigen Tierchen war extrem aufwändig und kompliziert und Friedrich war der Meinung, dass nur gebildete Leute wie die Küster oder Pastoren, die komplexe schriftliche Haltungsanweisungen lesen konnten, als Raupenhalter in Frage kamen. Ein Hauptproblem war natürlich auch die Futterbeschaffung. Der preußische Staat ließ es sich etwas kosten, ganze Maulbeer-Plantagen anzulegen. Wenige knackige Winter genügten, um die Seidenträume dahinwelken zu lassen, weil die meisten Bäume mit der Kälte nicht zurechtkamen. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielte die Raupenzucht keine Rolle mehr und die Wildberger Schüler und die Küsterfamilie konnten sich über den Wegfall der erheblichen Geruchsbelästigung freuen – natürlich auch über mehr Platz im Haus!
© Gerhard Fink
