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1616
Quelle: dokumentyslaska.pl

Was nun folgt, ist gewiss einer der schlimmsten Gewaltakte, die Wildberg zu ertragen hatte. Insbesondere, weil die Gegenwehr der Dorfbewohner entsprechend heftig ausfiel, ist dieser Vorgang in den Akten aus der damaligen Zeit sehr genau dokumentiert. Dr. Dirk Schleinert hat im Staatsarchiv von Stettin die vorhandenen Dokumente aufgearbeitet und seine Recherche in dem Artikel „Henneke Kardorff und das Amt Treptow oder wie es einem Mecklenburger in Pommern erging“ 2003 im Heft 13 der Zeitschrift „Stier und Greif“ veröffentlicht. Diesem Aufsatz folgt dieses Zeitfenster, soweit es die Vorgänge in Wildberg betrifft.

Wie schon im vorigen Zeitfenster erwähnt, erlangte der Gutsherr auf Pfandbasis die Erlaubnis des Herzogs, ein neues Vorwerk in Wildberg anzulegen. Dort wollte er sieben der siebzehn Bauernhöfe und zwei Kossätenstellen „legen“ – wie es im damaligen Sprachgebrauch verharmlosend genannt wurde. Damit war gemeint, dass die betroffenen Bauern und Kätner Haus und Hof zu verlassen hatten und an anderer Stelle im Einflussbereich des Gutsherrn angesiedelt wurden. In aller Regel war damit keine Verbesserung für die „Gelegten“ verbunden – vom Herausreißen aus der Dorfgemeinschaft einmal ganz abgesehen. Wie rücksichtslos dieses Schachspiel betrieben wurde, macht eine schriftlich dokumentierte Anmerkung von Henneke Kardorff deutlich: Es sei ihm egal, ob die Bauern unter sich auslosen (kaveln), wer abziehen solle, oder ob der Amtshauptmann des Herzogs diese Entscheidung treffe. Wie es dann tatsächlich abgelaufen ist, ließ sich bisher nicht ermitteln. Die betroffenen sieben Bauern und die zwei Kossäten jedenfalls wandten sich in einer Bittschrift an den Herzog, um die Sache noch zu stoppen. Ihr einziger Erfolg bestand darin, dass der Herzog seinem Amtshauptmann Alexander von Walsleben den Befehl gab, zu überwachen, dass die gelegten Bauern auch wirklich im Amtsbereich Treptow angemessen umgesiedelt werden. Der Landesfürst ist für eine ruhige Abwicklung, „weil wir aber gern sehgen, d[aß] die leute mochten wied[er] vndergebracht vnd kein klagen verursachet werden“. Man kann sich die bedrückte, vielleicht auch rebellische Stimmung leicht ausmalen, in der dann am 4. März 1618 die Räumung der Anwesen unter den Augen des Amtshauptmanns erfolgte. Die Räumung hatte unter Zurücklassung aller „Hofwehr“ zu erfolgen und es ist hoch interessant, was darunter zu verstehen war:

Die Vollbauern hinterließen jeweils „acht Zugpferde, vier alte (gemeint sind ausgewachsene ) Kühe, eine Sterke, ein Kalb, vier alte Schweine, vier Pölke, vier alte Schafe, vier Lämmer, acht Gänse und an Geräten und Hausrat einen großen Wasserkessel von einer halben Tonne Inhalt, einen Handkessel, einen Fischkessel, einen Kohlgrapen, einen Grützgrapen, einen Kesselhaken, einen Lenkhaken (Pflug), einen Rost, eine Axt, ein Handbeil, einen Durchschlag, einen Misthaken, zwei Staakforken, zwei Schippen, einen fertigen Pflug mit Eisen, eine fertige Schneidelade mit Messern, zwei Sensen, einen Tisch, eine Küfe (Wasserfaß mit Schlitten), zwei ‚gantze‘ und eine halbe Tonne, ein Butterfaß, einen fertigen Wagen, vier Sielen, sechs Zäume, ein Knechtbett, zwei Laken, zwei ‚Pfuhle‘ (Kissen).

An Getreide: die bestellte Wintersaat: 14 Scheffel Gerste und 16 Scheffel Hafer.“
Die Kossäten mussten folgende „Katenwehr“ zurücklassen: „Zwei Ochsen, eine Kuh, ein Kalb, vier Schafe, zwei alte Schweine, zwei Pölke, ein fertiger Haken, eine Hacke, eine Sense, ein Spaten, eine Mistforke, eine Staakforke, eine Axt, ein Beil, ein Handkessel, ein Kohlgrapen, ein Grützgrapen, vier Gänse, sowie an Getreide: vier Scheffel Gerste als bestellte Wintersaat und drei Scheffel Hafer zur Sommersaat.“

Auch die Namen der von der Legung betroffenen Untertanen sind überliefert: Es waren dies die Bauern Chim Gunther, Chel Jacob, Claus Bramstede, Drewes Cussow, Chim Friese, Claus Schuder und Gories Moller sowie die Kossäten Carsten Holste und Jacob Helm. Ihre Namen und ihre Hofstellen waren im Dorfe noch nicht vergessen, als der Dorfplan aus dem Kirchenbuch von 1684 aufgezeichnet wurde.

Die vom Herzog gewünschte Ruhe aber wollte sich nicht einstellen. Nun wandten sich die in Wildberg verbliebenen Bauern noch im März 1618 in einer Bittschrift an den Herzog. Sie alle hatten ebenfalls Ackerfläche an das neue Vorwerk abgeben müssen und außerdem beanspruchte Kardorff wohl einen erheblichen Teil der bisher von allen Bauern gemeinsam genutzten Weidefläche, der Allmende. Das aber habe zur Folge, daß die Bauern ihren Herdenstand nicht mehr halten könnten. Am 18. Oktober dieses Jahres folgte die nächste Klage, diesmal geführt von der gesamten Bauernschaft des von Kardorff als Pfand bewirtschafteten Amtes Treptow. Der neue Gutsherr habe seit 1616 die Vorwerksfläche stetig vergrößert und die Dienstverpflichtung der Bauern unmäßig erhöht. Die zehn noch in Wildberg ansässigen Bauern hatten z. B. nunmehr als Fronarbeiter die Flächen der Vertriebenen zu bestellen – insgesamt soll das Vorwerk 32 Hakenhufen oder nach heutiger Rechnung 314 Hektar umfasst haben. Auch Reinberger und vielleicht auch günstig gelegene Treptower Ackerfläche wurde von Wildberg aus bewirtschaftet und ist in dieser Flächenangabe enthalten. Diesmal erreichen die Bittsteller wenigstens, dass der in Klempenow amtierende Amtshauptmann von Walsleben und Dubschlaff von Eickstätt am 23.November vom Herzog den Befehl erhalten, diese Sache zu untersuchen. Die Konfliktparteien wurden nach Klempenow einbestellt – Kardorff und sein Schwiegersohn aber sind zu den zwei anberaumten Terminen nicht erschienen. Die Bauern aber ließen nicht locker und verfassten im Frühjahr 1620 eine neue Bittschrift. Diesmal kommen die herzoglichen Kommissare nach Wildberg und die Bauern erhalten sogar einen offiziellen Fürsprecher, den Amtsnotar Casparus Leuscher. Nachdem es in den folgenden Jahren ruhiger wurde, dürfen wir hoffen, daß in wichtigen Punkten Abhilfe geschaffen wurde. Jedenfalls fühlten sich die Bauern danach ermutigt, weiterhin „passiven“ Widerstand zu leisten. Der Verwalter Christoff von Rosen beklagt sich in einer am 20. Juni 1620 übergebenen Beschwerdeschrift an den Herzog über die dienstverpfichteten Reinberger Bauern wie folgt: “ Wollen die Reinbergeschen sich nicht gehorsamen, und wan sie zu hofe gefordert werden, andtwortet der schultze; heute thun wirs noch nicht, und was morgen geschehen könte, wissen wir jezo noch nicht. Und wan sie noch einmahl zum schein zu hofe kommen, so bringen sie vier pferdichen zu einer pflug mit sich, pflugen ein par stunde und ziehen hinwieder davon, wans ihnen geliebet. … und das sich die knechte allewege darauff berieffen, das es ihr alter gebrauch wehre, und das sie also den einen tagk arbeiten mussen, das sie des andern tages auch was behielten. Und thun was sie wollen und sitzen mehr in der Stadt und sauffen, alß sie zu hofe arbeiten. Fressen und sauffen auch offter und mehr im augste [Ernte, D.S.] alß sie meÿhen und arbeiten. Und da sie zur arbeit angehalten werden und ihnen vom vogte gedrawet wird, klingen sie mit den seÿssen [Sensen, D.S.] und beruffen sich auf ihren alten gebrauch, womit aber Henneke Kardorff und keiner nach ihme zurechte kommen kann.“ Zu viel Spaß dürften die Mecklenburger an ihrer Pfandschaft in Pommern wohl nicht gehabt haben.

© Gerhard Fink

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