Zurück zur Übersicht

1609Die in Wolgast residierenden Herzöge wollten natürlich „ganze“ Herzöge sein, was die Hofhaltung und die Repräsentation ihrer Würde anbelangte – der finanzielle Hintergrund aber war der eines halben und dazu dünn besiedelten Fürstentums. Kunstsinn, Lebensart, Bildungseifer und Reiselust wird man auch dem jungen Herzog Philipp Julius, der ab 1603 regierte, nicht absprechen können. In unserem Zusammenhang interessiert allerdings nur eines: Alles, was er unternahm war schlicht zu teuer und in der Addition mit dem Schuldenberg seines Vorgängers bahnte sich bereits zu Beginn seiner Herrschaft ein Finanzdesaster an. Dirk Schleinert berichtet in seiner Dissertation, dass eine von der Ständevertretung, dem Landtag in Auftrag gegebene Erhebung für das Jahr 1608 runde 400 000 Gulden Verbindlichkeiten aufdeckte, die auf der Hofhaltung lasteten – bei gerade mal 80 000 Gulden jährlicher Einnahmen! Längst waren die Erwartungen an die neuen Geldquellen in der Vorwerkswirtschaft auf ein Minimum gesunken: Schlechte Ernten, zu Beginn des 17. Jahrhunderts deutlich sinkende Getreidepreise in Westeuropa, ein Mangel an landwirtschaftlich qualifizierten Führungskräften für die Vorwerksbetriebe und die verständliche „Dienst nach Vorschrift“-Einstellung der Frondienstler machten alle Träume zunichte. Gleichzeitig entfielen die Pachteinnahmen der Bauern, denen man Ackerflächen abgenommen hatte. Einen letzten Ausweg aus der Schuldenfalle sah der Herzog und seine Berater in der Verpachtung und – bedenklicher noch – in der Verpfändung von Grundbesitz. Das Vorwerk Treptow und die dienstverpflichteten Dörfer mit Wildberg wurden1609 für fünf Jahre an Ulrich von Schwerin, einen ehemaligen Amtshauptmann verpachtet. Der war immerhin ein Fachmann und scheint ordentlich und ohne große Veränderungen gewirtschaftet zu haben. 1615 aber waren dem Herzog die Pachteinnahmen nicht mehr hoch genug und das Vorwerk mit den dienstpflichtigen Dörfern wurde an ein Mitglied des Mecklenburger Adelsgeschlechts Kardorff ( auch Kerckdorff genannt) verpfändete. 48 000 Gulden zahlte Henneke Kardorff als „Pfandschilling“, der entsprechende Vertrag hatte eine Laufzeit von 9 Jahren. Im Falle der Nichtverlängerung galt eine einjährige Kündigungsfrist. Der Pfandschilling setzte sich zusammen aus dem Schätzwert des verpfändeten Grundbesitzes und einer rund 5-prozentigen Verzinsung pro Jahr für die Laufzeit. Nach Ablauf des Vertrages sollte das Pfand durch Rückzahlung des Pfandbetrages ausgelöst werden oder der Pfandvertrag musste verlängert werden. Beim chronischen Geldmangel der Herzöge war klar, welche Alternative gewählt wurde: Verpfändung als Dauerzustand, wobei die Herzöge natürlich bestrebt waren, bei der Verlängerung wenigstens die Erhöhung des Pfandschillings zu erreichen. Dafür nahmen sie dann eine wesentlich längere Vertragsdauer in Kauf – bis zu 30 Jahre! Für die herzoglichen Pfandgeber bedeutete dies: Zu Anfang eine ordentliche Geldsumme, dann aber für die Dauer des Pfandvertrags keine laufenden Einnahmen mehr aus dem Grundbesitz! Nachdem Philipp Julius sich auch weiterhin nicht als „Sparefroh“ hervortat, kann man sich leicht ausrechnen, wie die Finanzlage in Wolgast sich entwickelte. Die Rendite für den Pfandnehmer ergab sich daraus, dass er aus dem Pfandbesitz deutlich mehr herausholte als die veranschlagten 5 Prozent aus dem Pfandschilling.

Für die von der Verpfändung betroffenen Untertanen waren die Folgen nicht weniger gravierend. Henneke Kardorff und sein als Verwalter eingesetzter Schwiegersohn Christoff aus dem livländischen Adelsgeschlecht der von Rosen scheinen durchaus von Landwirtschaft etwas verstanden zu haben. Natürlich waren sie bestrebt, aus ihrem Pfand das Optimum herauszuholen. Im Grunde waren es zwei Vorwerksbetriebe in Treptow, die sie übernommen hatten: Den sogenannten Alten herzoglichen Hof in der Stadt, zu dem wohl auch die Gebäude der ehemaligen reinfeldischen „Hovemeisterei“ behörten und den Neuen Hof vor der Stadt. Dazu die Dörfer Grapzow, Pripsleben, Wildberg, Reinberg und Loickenzin. Was die neuen Gutsherren störte, war die wenig zentrale Lage der Vorwerksgebäude und wohl auch der nicht mehr zeitgemäße Gebäudebestand in Treptow. Die Wildberger Bauern z. B. mussten mit ihren Pferdefuhrwerken erst 12 km und mehr unterwegs sein, um an ihren Einsatzort zu gelangen. Abhilfe sollte die Anlage eines neuen Vorwerks schaffen. Am 10. Juni 1616 bat Kardorff den Herzog um Erlaubnis, in Wildberg „newe und bequeme Ackerwerke anzuordnen“. Eigentlich sollten die Pfandnehmer so gravierende Veränderungen auf ihrem Pfandbesitz nicht vornehmen dürfen, aber die Argumente von Kardorff überzeugten den Herzog offenbar und er erteilte noch im selben Jahr die Erlaubnis zu dieser folgenreiche Veränderung.

Nachtrag vom November 2018:

Den Kontakt, der zu diesem Nachtrag führte, hat Frau Sybille Kempf, Altbürgermeisterin von Altentreptow vermittelt. Sie war von Professor Claus von Rosen angeschrieben worden, der die Familienchronik seiner Familie betreut und Details aus der Biographie von Georg Christoph von Rosen klären wollte, die mit Altentreptow in Zusammenhang stehen. Frau Kempf machte Herrn von Rosen auf unsere Chronik aufmerksam und so fand die Wildberger Verwalter-Episode des Georg Christoph Eingang in die Familienchronik. Aber auch unsere Ortschronik erfuhr eine wesentliche Bereicherung, weil die Familiengeschichte viele Details enthält, die interessante Einblicke in das Leben des Mannes ermöglichen, der für mehrere Jahre den verpfändeten Amtshof Altentreptow verwaltete und gemeinsam mit seinem Schwiegervater Henneke Kardorff die Errichtung des Vorwerks Wildberg vorangetrieben hat.
Wie schon erwähnt, stammt Georg Christoph aus einem einflussreichen Adelsgeschlecht, das im livländischen Loddiger (heute Lettland) ansässig war. Georg Christoph zog es als jungen Edelmann offenbar in den Westen. In Mecklenburg gehörte er zu den engsten Vertrauten des jungen Herzogs Adolf Friedrich I., der zunächst gemeinsam mit seinem Bruder Johann Albrecht das Herzogtum Mecklenburg-Schwerin regierte. Im Juni 1613 gab die Stadt Rostock für beide Regenten ein Festbankett. Was dort geschehen ist, hat Herzog Adolf Friedrich in seinem Tagebuch (heute im Staatsarchiv Schwerin) festgehalten: „Es haben mein Bruder, (dessen Vertrauter) Tessen Parsow und (Georg Christoph) Rosen sich verzürnt, mein Bruder hat Rosen mit dem Degen gehauen, meinem Bruder ist die eine Pistole losgegangen, meines Bruders Gemahlin drei mal tot geblieben (in Ohnmacht gefallen), dass man sie hat wieder mit Wasser und Balsam aufkühlen müssen; Graf Heinrich zu Stolberg hat meinem Bruder zugesprochen, er solle sich und seine Gemahlin bedenken, den hat er auch mit dem Degen hauen wollen. Im Tumult hat der närrische Magister (der Hofnarr) so bey meinem Bruder ist, (Georg Christoph) Rosen für den Kopf gehauen, Rosens Junge (sein Diener) hat dem Magister etzliche Wunden in den Leib gestochen“. Der Streit hat sich offenbar an religiösen Meinungsverschiedenheiten entzündet. In Zeiten der Glaubenskriege ist das durchaus nicht verwunderlich. Erstaunlich schon eher, dass es nicht etwa um eine Auseinandersetzung zwischen „Katholen“ und „Evangelen“ ging, sondern um eine innerprotestantische Streiterei – Adolf Friedrich und Rosen waren Lutheraner, Johann Albrecht und Tessen Parsow Calvinisten. Die Vermutung sei erlaubt, dass auch die beim Bankett gereichten Getränke eine Rolle gespielt haben könnten…

Die Sache war damit nicht ausgestanden: Zwischen Georg Christoph von Rosen und dem Tessen Parsow gab sie Anlass für eine Duell-Forderung. Ein erster Termin kam nicht zustande, im August des folgenden Jahres trafen die beiden dann bei dem Städtchen Tessin nahe Rostock aufeinander. Herzog Adolf Friederich vermerkt in seinem Tagebuch den Besuch zweier Zeugen, die ihm berichteten, „dass die question mit Georg Christoph Rosen und Tessen Parsow nun auch ein Ende und dass sie sich mit einander geraufft vor Tessin… und Rosen den Parsow durch und durch gestochen, also dass Parsow die Klinge im Leib abgebrochen und hat nach dem Stich noch eine Stunde gelebt.“ Ehrenhandel ist seinerzeit eine als selbstverständlich erachtete Sache, der tödliche Ausgang zieht dennoch – vermutlich auch auf Betreiben des anderen Herzogs Johann Albrecht – ein langwieriges Gerichtsverfahren nach sich. Georg Christoph hat die Wahl: Entweder 4000 Taler Geldbuße oder Verbannung auf 10 Jahre. Die Entscheidung liegt beim feindlich gesinnten Herzog, der auf Verbannung besteht. Herzog Adolf Friedrich wiederum federt diese Entscheidung durch ein Empfehlungsschreiben an den Pommernherzog Philip Julius in Wolgast ab, der den Verbannten in seine Dienste nimmt. Er war ja dort durch seine Verwaltertätigkeit in Altentreptow kein unbeschriebenes Blatt mehr. Bereits 1617 hatte er in Altentreptow die Tochter des Pfandherren Henneke Kardorff geheiratet. Zu der Hochzeitsgesellschaft gehörten seinerzeit illustre Gäste: Herzog Adolf Friedrich I., Herzog Philip Julius von Pommern-Wolgast mit Gemahlin sowie ein Fürst aus Holstein.

Ab 1622 kann sich Georg Christoph von Rosen nicht mehr intensiv um den Treptower Besitz gekümmert haben. Er taucht im Januar 1622 als Obrist in polnischem Dienst mit dreihundert Reitern im Herzogtum Preußen auf und treibt nach dem Bericht der im Raum Osterode und Mohrungen zuständigen Hauptleute dort sein Unwesen, obwohl Preußen in dem Krieg zwischen Polen und Schweden – es ging um die Vorherrschaft in Livland – nicht unmittelbar beteiligt war. In dieser Zeit muss Oberst Rosen auch an Kampfhandlungen mit schwedischen Truppen beteiligt gewesen sein – was ihm die Ungnade des schwedischen Königs Gustav
Adolph II. eingetragen hat. Schweden erlangte schließlich die Herrschaft über Livland und nachdem die Familie Rosen ohnehin eher auf die polnische Karte gesetzt hatte, wurde 1627 der halbe Besitz Loddiger – darunter auch der Anteil von Georg Christoph – „eingezogen“, das heißt zu Gunsten des schwedischen Königshauses enteignet. 1626 erhält Georg Christoph von Rosen ein Obristen- Patent des letzten Pommernherzogs Bogislaw XIV. und wird zum Kommandeur der Reiterei des Wolgaster Teilherzogtums bestellt. Offenbar ein schwieriger Posten, weil die dauerhafte Ebbe in der Kasse des Herzogtums den Unterhalt der Truppe gefährdete und der Herzog in dem die Landesgrenzen bedrohenden Kriegsgeschehen des Dreißigjährigen Krieges lange keine klare Position bezog – mit furchtbaren Folgen für sein Land, das von beiden Kriegsparteien gleichermaßen geschunden wurde. Dem Obersten von Rosen schuldete das Herzogtum 1627 bereits Sold in der Höhe von 4000 Gulden. Durchaus möglich, dass er mit der Pfandherrschaft über das Gut Vogelsang bei Ueckermünde abgefunden wurde, wo er sich mit seiner Familie niederließ. Nach der Landung der Schweden auf Usedom trat Georg Christoph 1630 mit einem auf eigene Kosten angeworbenen Dragoner- Regiment in den Dienst Gustav Adolfs, erlangte die Vergebung des Königs und die Rückgabe seines Besitzes in Loddiger. Ehe er das livländische Gut wieder übernehmen konnte, verstarben er und seine Ehefrau Agnes Dorothea 1631 in Vogelsang. Die Umstände ihres Todes sind bisher nicht bekannt. Das Erbe in Loddiger ging an die Tochter Sophia Agnes.

 

© Gerhard Fink

Zurück zur Übersicht