Aus der Verschronik von Wilhelm Himburg
Die folgende Legende mit wahrscheinlich historischem Hintergrund übermittelt der erste Chronist unseres Dorfes und gibt zugleich ein Rätsel auf, das bislang nicht so ganz zu lösen war:
Auf hohem Hügel südlich steht
ein Meierhof. Die Sage geht,
daß sein Besitzer Herr von Meyn
hart war, auch Herr auf Gädebein.
Der schindete die Leute sehr,
und als sie über ihn Beschwer
erhoben bei Gericht und gar
vor Preußens König, war’s nicht wahr.
Man gab ihm Unrecht; desto mehr
beschimpfte er den König sehr.
Dem kam’s zu Ohren wiederum,
nun aber nahm er’s Ding erst krumm.
Er that in Acht und Bann den Meyn,
und weil er erzgrob und gemein,
ließ er ’nen Eisenring ihm um
den Hals her legen, der ward stumm.
Tatsächlich, die mecklenburgische Adelsfamilie von Meyenn erwarb 1847 das Gut Friedrichsruh. Wie aber kann ein Gutsherr im Mecklenburgischen die Leute im pommersch-preußischen Wildberg schinden, die ja seit dem dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts als Bauerndorf die Gutsherrschaft ohnehein abgeschüttelt hatten? Und dann die drakonische Strafe, die um diese Zeit längst nicht mehr praktiziert wurde! Für den Autor der Verschronik – geboren 1838 – wäre der geschilderte Konflikt außerdem erlebbare Historie gewesen und keine sagenhafte Überlieferung. Also nur eine frei erfundene Geschichte, mit der man den Gutsherrn im Nachbardorf ärgern konnte? Oder kreuzte sich das Geschick der Wildberger schon einmal mit dem der Familie Meyenn?
Tatsächlich wird man in der geschichtlichen Überlieferung gut 100 Jahre früher fündig: Ein außerordentlich wohlhabender Mecklenburger mit dem ungewöhnlichen Namen Bleichert Peter Meyenn übernimmt 1726 die sogenannte Generalpacht über sechs vorpommerische Ämter, darunter Treptow a.T. mit dem Vorwerk Wildberg. Er hält das Pachtverhältnis bis 1750 und übergibt es seinem Sohn Peter Ernst von Mayenn, der um seiner Verdienste willen von Friedrich dem Großen 1768 geadelt wird.
Das System der Generalpacht über Domänengüter in Preußen geht wohl auf Friedrich Wilhelm I. zurück und war für einhundert Jahre die bevorzugte Lösung für die Verwaltung des riesigen Landbesitzes der preußischen Könige. Eine einträgliche Bewirtschaftung der ca. 700 Domänenämter mit jeweils mehr als 1000 ha Ackerfläche hätte eine große Zahl an ökonomisch und agrarisch gut ausgebildeten Beamten erfordert und die jährlichen Einkünfte wären von den Schwankungen des Ernteertrags abhängig gewesen. Der Generalpächter eines Amtes aber zahlte eine gleichbleibende Pacht, trug das Ertragsrisiko und musste für qualifiziertes Führungspersonal sorgen, wenn er einen Gewinn erzielen wollte. Wer, wie die von Meyenn, gleich 6 Ämter gepachtet hat, konnte diese Aufgabe nicht alleine stemmen und verpflichtete Unterpächter, die dem Generalpächter eine gewinnbringende Pacht zu zahlen hatten und selbst natürlich auch Gewinn erwirtschaften wollten. Man kann sich leicht ausmalen, dass in unterdurchschnittlichen Erntejahren für die dienstverpflichteten Menschen auf den Gütern und Vorwerken durch solche „Doppelpacht“ drückende Lasten entstanden, die auch mal zu Protesten beim Monarchen direkt führen konnten – nach Wilhelm Himburgs Sage auch in Wildberg.
Ein urkundlicher Beleg für eine solche Klage ließ sich bisher nicht finden und die Sache mit dem Halsring ist wohl dem Gerechtigkeitsempfinden der Wildberger entsprungen.
© Gerhard Fink